Tief im Walde steht ein Haus… Nicht allzu lang, dafür sehr interessant ist die Wanderung, die wir für heute ausgesucht haben. Nicht besonders weit ist auch die Anfahrt. Wir fahren nach Neustadt an der Weinstraße, folgen dort dem Verlauf der Bundesstraße 39 Richtung Westen und biegen dann – unterhalb der Wolfsburg – dem Hinweisschild „Königsmühle, Kaltenbrunner Tal“ folgend links ab. Das schmale Asphaltsträßchen bringt uns zur Kaltenbrunnerhütte, wo wir die Wanderschuhe schnüren. Dann brechen wir auf in Richtung Hellerhütte. Zunächst folgen wir noch dem breiten Fahrweg, vorbei an mehreren Weihern zur Linken (mit etwas Glück sieht man hier Entenfamilien). Bald zweigt ein schöner Wanderweg links ab.
Es handelt sich dabei um den so genannten Emil-Ohler-Pfad, benannt nach Emil Ohler, einem verdienten Gründungsmitglied der Ortsgruppe Neustadt/Wstr. des Pfälzerwaldvereins, der auch maßgeblich am Neubau der Hellerhütte im Jahr 1932 beteiligt war. Über ein halbes Jahrhundert hatte Emil Ohler als maßgeblicher Impulsgeber und Motivator in der Ortsgruppe gewirkt. An seinen unermüdlichen, ehrenamtlichen Einsatz erinnert der so genannte Ritterstein am Weg. Wir folgen nun dessen Verlauf und genießen immer wieder den Ausblick hinunter in das grüne Finstertal zur Linken, bis der Weg eine Rechtskurve nimmt und uns weiter aufwärts zur Hellerhütte führt. Die bewirtschaftete Hütte liegt auf einem 485 Meter hohen Bergsattel zwischen den Erhebungen Platte (560 Meter) im Nordosten und Oberscheid (582 Meter) im Süden. Ihr offizieller Name ist „Neustadter Hütte“, im Jahr 2003 feierte sie bereits ihr 100-jähriges Bestehen. Ihre Geschichte begann aber bereits 1900, als unter dem Namen „Neustädter Hütte“ ein Holzbau errichtet wurde, der schon zehn Jahre später durch einen massiven Bau ersetzt wurde. Eine erste wesentliche Erweiterung erfuhr das Pfälzerwaldhaus 1922 durch den Bau des Haupthauses, wobei die ursprüngliche Hütte zum Vorbau umgestaltet wurde. Eine erste selbständige Wasserversorgung wurde 1924 durch die Installation einer Pumpenanlage realisiert, sieben Jahre später erfolgte durch den Anbau des linken Flügels eine zweite, wesentliche Erweiterung. Nach dem 2. Weltkrieg befand sich die Hütte bis 1949 in den Händen des Kinder- und Jugendverbandes „Die Falken“. Nach der Rückgabe waren etliche Instandsetzungsarbeiten erforderlich, 1974/75 wurde das Pfälzerwaldhaus an die Stromversorgung angeschlossen, 1982/83 erfolgte mit dem Anbau des rechten Flügels die dritte Erweiterung. Heute präsentiert sich die Hellerhütte als beliebtes Ausflugsziel mit einer großen Anzahl von Sitzgruppen im Freien, Grill- und großzügig angelegtem Kinderspielplatz.
Die fröhlichen Stimmen der kleinen Gäste sind zu jeder Jahreszeit schon von Weitem zu hören. Und so mag man kaum glauben, dass dieses wunderschöne Waldidyll in der Silvesternacht 1960/61 zum Mordschauplatz wurde. Kimmel & Kumpane im Pfälzerwald In der Neujahrsnacht 1960/61 – zwischen zwei und drei Uhr – wurde vor der Hellerhütte der damalige Hüttenwirt Karl Wertz erschossen. Die Tat war der mörderische Höhepunkt einer Serie von Straftaten, die vor 55 Jahren die so genannte „Kimmel-Bande“ deutschlandweit bekannt machte. Die sechsköpfige Bande, die zwischen 1956 und 1961 rund 200 Einbrüche verübte, hatte in der Neujahrsnacht 1960/61 bereits die nahe gelegene Totenkopf-Hütte des Pfälzerwald-Vereins in Brand gesteckt und war dann zur Hellerhütte gezogen, um auf dem Vorplatz laut herum zu ballern. Wirt Karl Wertz trat vor die Hütte, um nach dem Rechten zu sehen, da fielen die tödlichen Schüsse. Bandenmitglied Lutz Cetto hatte drei- oder vier Mal auf Wertz geschossen, wohl weil dieser die sechs Bandenmitglieder hätte identifizieren können, wie sich später im Mordprozess heraus stellte. Der schwer verletzte Wirt verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus. Ein Gedenkstein vor der Hellerhütte erinnert noch heute an die Mordnacht. Lutz Cetto wurde 1962 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, 1963 beging er in der Haftanstalt Selbstmord. „Chef“ der sechsköpfigen Einbrecher- und Tresorknackerbande war Bernhard Kimmel aus Lambrecht. Der gelernte Tuchweber, auch „Al Capone der Pfalz“ genannt, verstand es immer wieder, die Polizei regelrecht an der Nase herum zu führen. So war es ihm gelungen, vor seiner Festnahme im Januar 1961, zusammen mit seiner Braut Tilly Dohn die Polizei-Absperrungen mehrere Male auf Schleichwegen ungehindert zu passieren und ein Auto samt Fahrer zu kapern, um sich damit kreuz und quer durch die Dörfer, in denen etliche Polizeistreifen patrouillierten, fahren zu lassen. Und selbst als man ihm bereits die Handschellen angelegt hatte, wollte Kimmel die Beamten überlisten, indem er sie bat, seiner Braut seinen Mantel überstreifen zu dürfen, „damit die Kleine nicht friert“. Und tatsächlich fielen die Polizisten auf diesen schlichten Trick herein. Sie lösten die Handschellen und Kimmel samt Freundin entflohen.
Im Rahmen der Fahndung trieb es „Al Capone“ schließlich auf die Spitze, als er sich mit einer Kraftdroschke in eine Formation von Polizei-Einsatzwagen einreihte, die zur Kimmel-Jagd ausgerückt war. Der Bandenchef wurde im Prozess zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. 1970 wurde er nach fast zehn Jahren Haft vorzeitig entlassen, galt als resozialisiert. In einer Zeit, in der in linken Kulturkreisen „Knast- und Knackiliteratur“ hoch im Kurs stehen, wird Kimmel im Kulturbetrieb herum gereicht, zahlreiche Illustrierte schreiben über ihn. Allerdings kommt er nicht los von dem kriminellen Milieu, das ihn prägte. Im Dezember 1981 gipfelt dieser Weg in einer Katastrophe: Bei einem Einbruch in eine Sparkasse in Bensheim lieferte sich „Al Capone“ ein Gefecht mit der Polizei und tötete dabei einen 31-jährigen Beamten durch einen Kopfschuss. Kimmel selbst wurde angeschossen und verhaftet. Für die Öffentlichkeit war aus dem „erfolgreichsten Geldschrankknacker Deutschlands“ ein brutaler Polizistenmörder geworden. Das Urteil: Lebenslänglich plus 13 Jahre. Im Dezember 2003 wurde Bernhard Kimmel nach 22 Jahren Haft entlassen. Insgesamt hat er 32 Jahre hinter Gittern verbracht. Heute lebt der ehemalige Banden-Chef, der 2016 sein 80. Lebensjahr vollendet hat, in einem südpfälzischen Dorf nahe Landau. Kimmel sieht sich als „Opfer der Gesellschaft“. Dass er als Polizistenmörder angeklagt und verurteilt wurde, kann er nicht verstehen, schließlich habe er „über den Kopf des Beamten hinweg gezielt“. (Quellen: Tagblatt-Archiv, Spiegel Nr. 9/1961, SWR-Archiv) Über den Liselotte-Steig zurück zum Ausgangspunkt Nun genug der pfälzischen Kriminalgeschichte! Wir machen uns – nach ausgiebiger Rast – auf den Weg zurück zum Ausgangspunkt, folgen nun der Markierung „Gelber Punkt“ auf dem „Liselotte-Steig“ der westlich der Hellerhütte abzweigt, und uns unter dem Gipfel der „Platte“ vorbei Richtung Hohberg führt. Hier geht es noch einmal bergauf, jedoch sehr moderat und auf bequemem, hervorragend markiertem Wanderweg. Unterwegs – an einer Wegekreuzung – genießen wir die Aussicht auf den Gipfel der Kalmit in südlicher Richtung. Zehn Minuten später lugt zwischen den Bäumen der Sendemast auf dem Weinbietgipfel – von Osten herüber – hindurch. Wir bleiben hin und wieder stehen, bewundern nicht nur die Aussicht, sondern auch den herrlichen Mischwald, der neben kräftigen Nadelbäumen und dem jungen Grün der Laubbäume auch mit grasigen Lichtungen samt Hochsitzen aufwartet. Am Nordhang des Giebelsteins vorbei erreichen wir die „Kleine Ebene“, ein großzügig angelegter Rastplatz mit Schutzhütte. Zeit für einen Schluck aus der Wasserflasche und einen letzten Blick in die Karte. Von hier aus folgen wir nun der Markierung „Weißer Punkt“ auf schmalen Pfad abwärts zum Bischofsweiher und zum Parkplatz an der Kaltenbrunner Hütte, wo unser „fahrbarer Untersatz“ auf uns wartet.
Gesamtlänge (Hin- und Rückweg): 8 km, Gehzeit ohne Pausen: 2,5 Stunden Kartenmaterial: Topographische Karte Naturpark Pfälzerwald, Blatt 6, Maßstab: 1:25.000 Anforderungen: Durchweg gut angelegte, bequeme Wanderwege, kaum merkliche Steigungen Einkehrmöglichkeiten: Kaltenbrunner Hütte (geöffnet Samstag bis Mittwoch jeweils ab 11 Uhr) und Hellerhütte (geöffnet Mittwoch bis Sonntag jeweils bis 18 Uhr)) sowie Gaststätten in Neustadt/Wstr. und Lambrecht An- und Rückreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Per S-Bahn nach Lambrecht, mit Bus 517 Richtung Neustadt bis Haltestelle Neustadt Heid & Co., weiter zu Fuß über Königsmühle zur Kaltenbrunner Hütte; verlängert die Wanderung um 6 km bzw. 1,5 Stunden
Von Monika Schleicher (entnommen „Genusswanderungen im Pfälzerwald“, erschienen im Geier-Druck-Verlag, erhältlich im Shop)